Die Geschichte Lohbergs - von Dr. Inge Litschke

Lohberg - Ein Streifzug durch die Geschichte des Ortsteils

 

 

Industrialisierung und Migration

 

Die Entstehung Lohbergs fällt in die Zeit, als das Deutsche Reich zwischen 1871 und 1914 zum bevölkerungsreichsten und produktionsstärksten Land Europas und hinter den Vereinigten Staaten von Amerika zur zweitgrößten Industriemacht der Welt wurde.

Die industrielle Entwicklung war verbunden mit riesigen Wanderungsbewegungen, vor allem Binnenwanderungen, die zugleich zur Urbanisierung einer vorher agrarisch lebenden Bevölkerung, zur Agglomeration der Zuwanderer in Städten sowie zu Strukturveränderungen vormals ländlicher Gebiete führten. Als Beispiel für die rasch fortschreitende Verstädterung einst ländlicher Gebiete sei die ehemalige Landgemeinde Hamborn genannt, die Anfang dieses Jahrhunderts innerhalb eines Jahrzehnts zur Großstadt heranwuchs und im Jahre 1911 rund 102.000 Einwohner beherbergte. Zentren der Zuwanderung waren der Berliner Raum und das Ruhrgebiet.

Die Binnenwanderung füllte, seit der Bergbau in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts mit amerikanischem Tempo, das Zeitgenossen vom "Wilden Westen" Deutschlands sprechen ließ, in die nördlichen Zonen des Ruhrgebiets vordrang, die Arbeitsplätze, die von der eingesessenen, in Dörfern, kleinen Bauernschaften und wenigen Städten lebenden Bevölkerung nicht besetzt werden konnten. Vor allem das dünn besiedelte Emschergebiet, in dem neue Tiefbauzechen - u.a. auch zu Beginn dieses Jahrhunderts die Schächte Lohberg 1 und 2 - abgeteuft wurden, hatte einen rapid steigenden Bedarf an Arbeitskräften und lockte einen Strom von Zuwanderern an.

Hierbei handelte es sich jedoch nicht um die ersten Neuankömmlinge. Betrachtet man die Entwicklung des Ruhrbergbaus im Zusammenhang, so lassen sich bis 1914 drei Zuwanderungswellen erkennen:

Die ersten Zuwanderungen erfolgten im 18. Jahrhundert. Um den Bergbau an der Ruhr zu entwickeln, wurden deutsche Bergleute dort angeworben, wo der Bergbau bereits eine langjährige Tradition besaß und in hohem Rufe stand, vor allem im Harz und im Erzgebirge.

Die zweite Zuwanderungswelle, setzte um die Mitte des 19. Jahrhunderts ein. Es kamen allerdings jetzt keine ausgebildeten Bergleute mehr, sondern Bergfremde, die in ihrer Heimat keinen Lebensunterhalt fanden. Sie stammten vor allem aus den landwirtschaftlichen Gebieten Westfalens, aus Hessen und aus dem Münsterland. Es handelte sich durchweg um ländliche Handwerker, Kötter, Heuerlinge und nichterbende Bauernsöhne.

Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts setzte die dritte Zuwanderungswelle ein und dauerte etwa bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges. Ihre Ausgangspunkte lagen vor allem im Osten, besonders in den früheren preußischen Ostprovinzen Schlesien, Posen, Ost- und Westpreußen. Diese dritte Migrationswelle brachte außer Deutschen in steigenden Maße Ausländer, insbesondere Polen, ins Ruhrgebiet. Die Angaben zum Umfang der polnischen Zuwanderung weichen je nach Standort des Autors und/oder den bei vorgenommenen Beurteilungen und zahlenmäßigen Erfassungen zugrundegelegten Unterscheidungskriterien, z.B. Sprache, Landesgrenzen, Selbsteinschätzung der Betroffenen, sowohl in der zeitgenössischen als auch in der nach 1945 erschienenen Literatur stark voneinander ab. Aber auch aus anderen Ländern strömten die Menschen ins Revier; es kamen z.B. Österreicher, Tschechen, Slowenen, Italiener.

Die Bevölkerungszunahme bedeutete vor allem ein Anwachsen der Arbeiterschaft, in der Umgebung der Zechen eine Agglomeration der Bergarbeiterschaft. Im Ruhrgebiet stieg die Zahl der Bergleute zwischen 1850 und 1913 von 13.000 auf 440.000 an, und es kam zu einer immer stärkeren Konzentration der Bergarbeiter in Großbetrieben.

 

Zum Koloniebau im Ruhrgebiet

 

Folgen des Massenzustroms von Arbeitern und der Ballung von Produktionsanlagen und Arbeitskräften im Bergbau waren eine ungewöhnlich hohe Fluktuation und ein akuter Wohnungsmangel. Die Lösungsversuche zur Behebung der Wohnungsnot bestanden zunächst in einer Überbelegung des vorhandenen Wohnraums und in der Entwicklung der Mietskaserne. Aus der quantitativen Wohnungsnot entwickelte sich eine qualitative. Die Wohnung bedeutete häufig lediglich ein Dach über dem Kopf. Die Mieter hatten keine Verfügungsgewalt über ihren Wohnraum und waren oft in lichtlosen und feuchten Unterkünften in einer Weise zusammengepfercht, die jeder Vorstellung von der Wohnung als Lebensraum Hohn sprach.

 

Einen positiver zu bewertenden Versuch, die Wohnungsfrage zu lösen, stellte - etwa ab 1844 - der Bau der für das Ruhrgebiet typischen Arbeiterkolonien dar. Dabei lassen sich bis 1918 mehrere Entwicklungsphasen unterscheiden, und zwar von einfachsten Reihenhäusern, bei deren Planung und Ausführung das geometrische Element und die geometrische Anordnung der Häuser vorherrschten, hin zu Kolonien, bei denen bereits städtebauliche Gesichtspunkte eine Rolle spielten. Hier ist besonders auf Einflüsse der Deutschen Gartenstadtbewegung hinzuweisen. Vorherrschende Gestaltungskriterien wurden: Vielgestaltigkeit der Bauformen, liebevolle Behandlung der Details, individuelle Raumbildungen, Platzanlagen, der Topographie angepaßte Straßenführungen, insbesondere die "krumme" Straße. Für die Gesamtkonzeption wurde das organisch gewachsene Dorf der vorindustriellen Zeit zum Leitbild. Hier reiht sich auch die Bergarbeiterkolonie Lohberg als von der Gartenstadtidee beeinflußte Konzeption in die Entwicklung des Koloniebaus ein.

 

Entstehung des Bergwerks Lohberg

 

Für das damalige Landstädtchen Dinslaken bestimmte erst nach der Jahrhundertwende die Industrie die weitere Entwicklung. Noch am 13. Mai 1885 stellten Verwaltung und Stadtverordnete fest: "Hiesiger Stadtbezirk hat keine Industrie." Der Einzug der Großindustrie in den Dinslakener Raum begann 1896, als August Thyssen, der bereits Bandeisenwalzwerke in Duisburg (1867) und Mülheim-Styrum (1871) errichtet hatte, nach dem Bau eines Stahl- und Walzwerkes in Hamborn-Bruckhausen (1890/92) - der späteren August-Thyssen-Hütte - Dinslaken als Standort für ein neues Bandeisenwalzwerk wählte und die Errichtung einer Schachtanlage im Gebiet der damaligen Landbürgermeisterei Dinslaken-Land ins Auge faßte.

 

Im Hamborner Raum waren bereits ab 1872 Schächte niedergebracht worden. Um die gleiche Zeit begann man auch im Hünxer und Dinslakener Gebiet, hier besonders in Hiesfeld am Rande des Oberlohbergs, mit Probebohrungen und knüpfte daran große Erwartungen. Da die am Fuße des Oberlohbergs angesetzten Bohrungen gute Ergebnisse zeigten, nahm der Plan zur Errichtung eines Bergwerks 1901 festere Formen an.1902 begann man mit dem Ankauf von Grund und Boden für die Schachtanlage, für die benötigte Arbeitersiedlung, die Gewinnung von Versatzmaterial und den Bau einer Werksbahn.

 

Am 30. Dezember 1905 erfolgte durch notariellen Akt die Gründung der Gewerkschaft Lohberg mit Sitz in Hamborn.

 

1907 begannen die Gefrierarbeiten für beide Schächte. Sie wurden wegen Schwimmsandschichten größerer Mächtigkeit nach diesem neuen Verfahren niedergebracht.

 

Ab 1909 liefen die Abteufarbeiten. Auf beiden Schächten wurde 1913 die Förderung für den Absatz aufgenommen.

 

 Entwicklung der Kolonie bis 1945

 

Eine geschlossene Siedlung Lohberg bestand vor dem Abteufen der Schachtanlage nicht. Auf dem Oberlohberg bildeten  einige verstreut liegende Anwesen die gleichnamige Hiesfelder Bauernschaft Oberlohberg.  Der Oberlohberg selbst, der eine Höhe von 68,9 m über NN erreichte, war mit Wald  bewachsen, nach Osten schlossen sich Heide und Moor flächen an. Die Landschaft am Fuße des Oberlohbergs, wo später Bergwerk und Bergarbeiterkolonie entstanden, bot vor dem  Niederbringen der Lohberger Schächte ein Bild ländlicher Beschaulichkeit, das sich erst  änderte, als der Bergbau den grundlegenden Wandel schuf.

 

SchacaltMit dem Bergbau kamen die Zuwanderer, die hier Arbeit, Brot und eine neue Heimat für sich und ihre Familien zu finden hofften. Am Anfang waren es nur wenige, später einige Tausend. Sie sind der dritten Zuwanderungswelle (s.o.) zuzuordnen und stammten vor allem aus dem Osten, insbesondere aus den früheren preußischen Ostprovinzen Ost und Westpreußen, Posen und Schlesien. Aber auch aus dem niederrheinischen und angrenzenden westfälischen Raum, von der Saar und Mosel, aus dem Hannoverschen, aus Hessen, Sachsen und Bayern kamen Arbeiter mit ihren Familien nach Lohberg. Viele Ausländer suchten ebenfalls auf dem neuen Bergwerk Arbeit; hier sind vor allem polnische und tschechische Zuwanderer zu nennen, aber auch Österreicher, Jugoslawen, Holländer und Ungarn. Die aus dem Osten Zugewanderten unterschieden in der ersten Generation noch deutlich zwischen Deutschen und Polen. Es war die Zeit, in der Begriffe wie "Polacken" und "polnische Wirtschaft” geprägt und verwendet wurden. In der zweiten Generation verwischten sich die Unterschiede jedoch bereits.

 

Die Zuwanderer kamen entweder direkt aus ihrer Heimat oder im Verlauf bzw. am Ende der Fluktuation von Zeche zu Zeche. Für viele Familien bedeutete die Ansiedlung in Lohberg das Ende einer langen Wanderschaft. In diesen Fällen zogen mit der Niederlassung endlich auch Ruhe und Ordnung in das Familienleben, insbesondere in das Leben der Kinder und Jugendlichen, ein.

 

Als Beispiel für eine solche lange Wanderung sei die Familie des Bergmanns Franz H. genannt, die 1903 mit fünf Kindern in Konitz im Sudetenland aufbrach und über Zechen in Lothringen, Bochum-Gerthe, Moers und Neumühl, auf denen der Familienvater jeweils als Schachthauer gearbeitet hatte, schließlich am 12. Juni 1909 mit acht Kindern ihren Weg nach Lohberg fand. Drei Kinder waren an unterschiedlichen Orten der Wanderung geboren worden, ein neuntes kam in Lohberg hinzu.

 

 

Um die wachsende Belegschaft des neu entstehenden Bergwerks unterzubringen, wurde am Fuße des Oberlohbergs im freien Gelände nach Westen auf dem Gebiet der dünn besiedelten Hiesfelder Bauernschaft Unterlohberg, die um die Jahrhundertwende nur aus 36 Haushaltungen bestand, ab 1907 eine Bergarbeiterkolonie angelegt. Sie wurde zunächst Unterlohberg genannt. Bis 1917 gehörte der zuerst erbaute Teil zur damaligen Landbürgermeisterei Hiesfeld, die Anfang des 20. Jahrhunderts mit einer Fläche von 4793,93 ha größte Landgemeinde Preußens war. Am 1. April 1905 war Hiesfeld zur selbständigen Landbürgermeisterei erhoben worden. Vorher hatte in der Verwaltung eine Personalunion mit der Bürgermeisterei Dinslaken bestanden. Im Laufe der Jahre verschoben sich infolge der auch auf den Hiesfelder Raum mit seiner zerdehnten, dünnen Besiedelung übergreifenden Industrialisierung und des sprunghaften Anwachsens der Bevölkerung die Sielungsschwerpunkte erheblich. Hiesfeld orientierte sich, ohne selbst einen Schwerpunkt zu bilden, teils nach Dinslaken, teils nach Sterkrade. Das hatte zur Folge, daß am 1. Juli 1917 die Landbürgermeisterei Hiesfeld aufgelöst, zwischen  Dinslaken und Sterkrade aufgeteilt und zum größeren Teil nach Dinslaken eingemeindet wurde. Auch der Hiesfelder Ortsteil Unterlohberg kam als Dinslaken-Lohberg zu Dinslaken.

 

Bei Planung und Bau der Kolonie Lohberg wurden bewußt Fehler vermieden, die in den Anfängen des Siedlungsbaus für Bergarbeiter häufig gemacht wurden: zu kleine Wohnungen, zu enge Zimmer, Anlage von monotonen Hausreihen, fehlende Unterbringungsmöglichkeiten für Alleinstehende.  Nach einem wohldurchdachten Plan, der deutlich die Einflüsse der Gartenstadtbewegung erkennen läßt, entstand eine geschlossene Bergarbeiterkolonie, die sich positiv von vielen älteren Kolonien des Ruhrgebiets abhob.

Die Koloniewohnungen waren bei den Bergleuten sehr begehrt. Die Attraktivität ergab sich aus dem halbagrarischen Charakter dieser Wohnform, die den regionalen Traditionen der jeweiligen Herkunftsländer Rechnung trug. Das Wohnen in der Kolonie bot vor allem die Möglichkeit der Subsistenzproduktion durch Nutztierhaltung, Bewirtschaftung von Gärten und Bebauung von Ackerland. Hinzu kam, daß die Mieten niedriger waren als auf dem freien Wohnungsmarkt.

 

Die isolierte Lage der Kolonie in einem bis zur Jahrhundertwende von der Industrie völlig unberührten Landstrich machte es notwendig, gleichzeitig mit den Siedlungsbauten eigene Sozial-, Kultur- und Versorgungseinrichtungen zu schaffen, da die neue Siedlung vollkommen abgesetzt von der in Hiesfeld und Dinslaken vorhandenen Infrastruktur gebaut wurde. Es entstand nach und nach eine eigene infrastrukturelle Ausstattung mit Schulen, Kindergärten, Kirchen, Arztpraxis, Polizeistation, Poststelle und Einzelhandelsgeschäften. Hervorzuheben sind die Gründung einer weltlichen Schule aufgrund politischer und pädagogischer Zielsetzungen nach dem ersten Weltkrieg, viele selbstgeschaffene Angebote für die arbeitsfreie Zeit, vor allem in den unterschiedlichen "Vereinen", sowie die Gründung des ortseigenen Jugendbundes "Der Sonne entgegen" im Sinne der Wandervogelbewegung.

 

Bereits 1913 wurde mit dem Bau eines umfangreichen Ledigenheimes, auch Menage genannt, begonnen. Damit wollte die Werksleitung zum einen auch unverheirateten Arbeitern eine gesunde und zweckmäßige Unterkunft bieten und zum anderen gleichzeitig dem sehr verbreiteten Schlaf- und Kostgängerwesen, das Arbeitgeber und Behörden wegen befürchteter negativer Auswirkungen auf Sitte und Moral mit Skepsis betrachteten, entgegenwirken. Aber trotz der ab 1916 im Ledigenheim angebotenen Wohn- und Versorgungsmöglichkeit zogen viele Alleinstehende das noch so beengte Leben in einer Bergmannsfamilie der Gemeinschaftsunterkunft vor. Und auch die Bergmannsfamilien nahmen gerne Kostgänger auf, um den schmalen Geldbeutel aufzubessern. Im Gebäude des Ledigenheims wurde ab 1927 auch die Werksfürsorge mit zugehörigen Einrichtungen, wie Werksbücherei, Nähstube, Höhensonnenraum, untergebracht.

 

Für die infrastrukturelle Ausstattung ihrer Kolonie setzten sich vor allem die Lohberger selbst ein. Es entstand ein Lebensraum eigener Art: Aus einer anfänglichen Heterogenität der aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands und Europas zusammengeströmten Bevölkerung entwickelte sich durch gemeinsame berufliche und private Interessen, durch informelle Solidaritätsstrukturen und durch die Meisterung sozialer Probleme eine gewisse Homogenität der Lebensformen, die soziale Identität stiftete. An dieser zunächst sehr heterogenen Bevölkerung setzten - im Gegensatz zu Integrationshilfen für deutsche Zuwanderer und ausländische Migranten nach dem Zweiten Weltkrieg - keinerlei gezielte Integrationsmaßnahmen von außen an. Integration erfolgte in die Enklave Bergarbeiterkolonie hinein, nicht in die bereits ansässige Bevölkerung, von der die Bergarbeiter und ihre Familien über Jahre hinweg eher mit Mißtrauen und Mißachtung betrachtet wurden.

 

Zu dieser Skepsis gegenüber den Lohbergern trug wesentlich bei, daß das Leben in der Kolonie in den zwanziger und dreißiger Jahren von bitterer Armut, von Notlagen, wirtschaftlichen Krisen, Arbeitslosigkeit ungeheuren Ausmaßes sowie von politischen Unruhen und blutigen Ausschreitungen in den Jahren 1920 und 1923 gekennzeichnet war. In dieser Zeit wurde Lohberg zu einer Hochburg der kommunistischen Partei, dem "roten" Lohberg.

 

Restriktiv wirkte sich der Nationalsozialismus auf Entwicklung und Eigenleben der Kolonie aus: Die weltliche Schule, der Jugendbund "Der Sonne entgegen", die konfessionellen und sozialistischen Jugendgruppen wurden verboten, die Arbeit der Kirchen behindert, politisch anders Denkende verfolgt und verhaftet.

 

Am äußeren Erscheinungsbild der Kolonie änderte sich dagegen bis 1945 nichts Grundlegendes. Unsägliches Leid, Zerstörungen und vielfachen Tod brachten dann die letzten Kriegsmonate. Ebenso wie in Dinslaken gab es in Lohberg keinen bombensicheren Schutzraum; bei Fliegeralarm rettete sich die Bevölkerung in die Luftschutzkeller, die jeweils für eine Hausgemeinschaft von dafür abgestellten Bergleuten der Schachtanlage fachmännisch abgestützt worden waren.

 

Am 22. Januar 1945 erfolgte der erste Bombenangriff auf Lohberg. Viele Häuser wurden zerstört oder beschädigt, ganze Familien unter den Trümmern begraben. 85 Personen, darunter 29 Kinder bis zu 14 Jahren fanden den Tod, sie wurden zerfetzt, erschlagen, erstickt oder starben durch Lungenriß. Andere wurden schwer verletzt.

 

Am 7. März 1945 wurden die Lohberger Schulen geschlossen, da Artilleriebeschuß und Gefahren durch Luftangriffe ständig zunahmen. Die Bewohner der Kolonie wagten sich kaum noch auf die Straße. 19 Personen, darunter zwei Kinder, verloren durch einschlagende Granaten ihr Leben.

 

Am 23. März 1945 erfolgten wieder schwere Bombenangriffe. Den ganzen Tag über flogen Bomberverbände in mehreren Wellen und in kurzen Abständen heran und belegten Lohberg und Dinslaken ünd weitere Orte auf dem Ostufer des Niederrheins mit Bombenteppichen. Nach der Zerstörung der Ortschaften durch das Bombardement setzte eine beispiellose Kanonade ein, die während der Nacht anhielt.

 

Bombenabwürfe und Artilleriefeuer machten des Bergen von Verletzten fast unmöglich. Ein großer Teil der Lohberger Bevölkerung flüchtete in die umliegenden Wälder oder suchte auf Bauernhöfen in Bruckhausen und Hünxe Zuflucht. Trotzdem kamen 47 Erwachsene und 20 Kinder ums Leben. Viele Leichen wurden erst nach mehr als einer Woche ausgegraben, als bereits Verwesungsgeruch die Straßen durchzog.

 

Am Palmsonntag, dem 25. März 1945, gegen 11 Uhr, rückten die Amerikaner in Lohberg ein. Die Kolonie war, als die Kriegshandlungen im Raume Dinslaken aufhörten, besonders im nordwestlichen Teil ein großer Trümmerhaufen. Etwa 10% der Häuser waren zerstört, viele andere schwerstens beschädigt, kaum eine Wohnung war unversehrt geblieben. Die evangelische Notkirche war vernichtet, die katholische Kirche stark beschädigt. Die Schulen hatten schwere Schäden davongetragen.

 

Schlimmer als alle Zerstörungen traf die Koloniebewohner der Tod von vielen engsten Familienangehörigen, von Verwandten, Freunden, Nachbarn und Bekannten. 171 Personen, darunter 51 Kinder, hatten durch Bomben und Granaten ihr Leben verloren. Eheleute waren verwitwet, Kinder verwaist, Eltern ihrer Kinder beraubt. “Viel Blut und Tränen waren”, wie der katholische Pfarrer es in einem Rückblick voller Schmerz ausdrückt, “in Lohberg vergossen, Mut und Gottvertrauen gefordert zu einem neuen Anfang aus dem seelischen und materiellen Elend, das ein sinnloser Krieg verschuldet hatte.”

 

Vom Wiederaufbau bis zur Unterschutzstellung

 

Die Menschen rückten zusammen, um die ausgebombten Verwandten und Nachbarn aufzunehmen. Die Wohnungsnot wurde noch vergrößert durch Flüchtlinge und Vertriebene aus Pommern, West- und Ostpreußen, Posen und Schlesien, die nach Lohberg kamen und hier Unterkunft und Arbeit suchten. Einige konnten von Verwandten aufgenommen werden, die Anfang des 20. Jahrhunderts ihre alte Heimat verlassen und in Lohberg Arbeit auf der Zeche und eine Wohnung gefunden hatten.

 

Während der Phase des Improvisierens und Zusammenrückens liefen die Beseitigung der Trümmer, der Wiederaufbau und der Neubau von Wohnungen an. Dachböden wurden zu Wohnungen ausgebaut; am Westrand der Kolonie, auf der heutigen Dorotheenstraße, entstand eine Siedlung von Nissenhütten.

 

Gleichzeitig mit den ersten Bau- und Wiederaufbaumaßnahmen liefen die Einrichtung und der Bau von Heimen für Neubergleute an, die mit der vierten Zuwanderungswelle für den Ruhrbergbau nach dem Krieg auch in großer Zahl nach Lohberg zuwanderten.

 

Die zerstörten Häuser wurden nicht im Stil der alten Kolonie aufgebaut. Es entstanden keine Reihenhäuser mehr, sondern die Mietshäuser der ersten Nachkriegsarchitektur, da sowohl für die ausgebombte als auch für die neu zuwandernde Bevölkerung schnell viel Wohnraum geschaffen werden mußte. Mehrere Familien benutzten in diesen Häusern dasselbe Treppenhaus, fühlten sich im Gegensatz zu früher aber für Eingang, Vorgarten und Hof weniger verantwortlich. Viele alte Lohberger Familien zogen in das am südlichen Ortsrand entstehende Neubaugebiet, dessen Wohnungen mit Spülklosett, Badezimmer, großem Wohnzimmer und kleiner Kochnische große Attraktivität besaßen. Andere bauten Eigenheime in Selbsthilfesiedlungen.

 

Bei vielen resultierte das Verlassen der Kolonie, häufig uneingestanden, aus dem Wunsch, das Kolonieimage abzustreifen und aus dem mit geringem sozialem Ansehen behafteten Koloniemilieu herauszukommen.

 

Mit allmählich einsetzendem bescheidenem Wohlstand sank in der nachwachsenden Generation in manchen in Lohberg verbliebenen Familien das Interesse an der Bestellung der Gärten in den der Straße abgewandten Innenräumen zwischen den Häusern; die Flächen wurden teilweise eingeebnet, viele Ställe abgerissen. In einigen Innenhöfen entstanden Grünanlagen und Spielflächen, andere wurden zum Teil mit Garagen bebaut.

 

Seit 1976 betreibt die Trägergesellschaft den Verkauf der Koloniehäuser. Die Privatbereiche der verkauften Häuser heben sich durch gestaltete Gärten und aufwendige Abgrenzungen in Form von Hecken, Schutzwänden und Mauern von den nicht privatisierten Flächen ab.

In die frei gewordenen Wohnungen, deren Mieter in Neubaugebiete und Selbsthilfesiedlungen abgewandert waren, zogen seit Mitte der sechziger Jahre in zunehmendem Maße türkische Familien, die mit der fünften großen Zuwanderungswelle dem Ruhrbergbau zuströmten. Der Einzug der aus einem vollkommen anderen Kulturkreis stammenden Türken mit ihren den Deutschen fremden Lebensgewohnheiten führte dazu, daß weitere Lohberger Familien, die noch an der Erhaltung und Pflege “ihrer” Häuser, Höfe und Gärten gearbeitet hatten, Lohberg verließen und die alte Kolonie trotz der noch verbleibenden deutschen Familien sich zu einer türkischen Enklave zu entwickeln begann. Slumbildung setzte ein, die Mieten fielen, weitere türkische Familien zogen nach. Die Ghettobildung brachte massive soziale Probleme mit sich.

 

Hinzu kam, daß nach der ersten Wiederaufbau- und Renovierungsphase der unmittelbaren Nachkriegsjahre bei den für die Wohnungen verantwortlichen Trägergesellschaften weitgehend das Interesse an der Erhaltung der alten Bausubstanz sank. Während die Kolonien in der Zeit, als der Bergbau Arbeitskräfte brauchte, als notwendige Infrastruktur fungiert hatten, wurden sie weniger interessant, als dem Primärenergieträger Kohle mit dem Erdöl eine scharfe Konkurrenz erwuchs und immer mehr Bergleute entlassen wurden.

 

Es drohte der Abriß der Kolonie. Erst das Entstehen einer Bürgerinitiative, der Interessengemeinschaft Lohberg, die seit Mitte der siebziger Jahre für Erhalt und Instandsetzung Alt-Lohbergs kämpfte, führte dazu, daß Maßnahmen zur Rettung der Kolonie eingeleitet wurden. Am 29. August 1988 wurde der Kernbereich der alten Bergarbeiterkolonie wegen seiner Bedeutung für die geschichtliche und städtebauliche Entwicklung der Stadt Dinslaken nach dem Denkmalrecht des Landes Nordrhein-Westfalen als Denkmalbereich unter Denkmalschutz gestellt. Die Gebäude Steigerstraße 4, 6 und 8 sowie Stollenstraße 14 wurden als Baudenkmäler in die Denkmalliste aufgenommen und einzeln unter Schutz gestellt. Die Unterschutzstellung stützt sich auf das Gutachten des Rheinischen Amtes für Denkmalpflege, in dem die Bergarbeitersiedlung Lohberg als Mustersiedlung ihrer Zeit bezeichnet wird. Die Ausweisung der Kernbereiche der alten Siedlung als Denkmalbereich dürfte die Gefahr des Abrisses von Koloniehäusern erheblich eingeschränkt haben. Inzwischen sind die Renovierungsarbeiten in vollem Gange.

 

Es bleibt zu wünschen, daß die alte Kolonie noch lange als fest in die Kommune eingebundener Ortsteil der Stadt Dinslaken erhalten bleibt und ihre Integrationskraft auch im Hinblick auf die türkischen Migranten unter Beweis stellt. Dieser Integrationsprozeß gestaltet sich ungleich schwieriger als bei den vorausgegangenen Zuwanderungen, da er nicht mehr auf der Basis der gemeinsamen abendländischen Kultur und christlichen Religion erfolgt. Die Entwicklung von einem Nebeneinander zu einem friedlichen Miteinander der zwei unterschiedlichen Kulturen vollzieht sich bisher nur schrittweise. Als ein Schritt auf diesem Wege ist auch das Stadtteilfest gedacht, dem dieser Text gilt.

 

Dieser Text wurde von Frau Dr. Inge Litschke freundlicherweise für die Festschrift des Stadtteilfestes 1994 geschrieben überarbeitet für unsere Homepage zur Verfügung gestellt. Wir empfehlen sehr das Buch von Frau Dr. Inge Litschke: “Im Schatten der Fördertürme” - Kindheit und Jugend im Revier; die Bergarbeiterkolonie Lohberg 1900 - 1980, Mercator-Verlag.